Hellwach in der stockdunklen Nacht Emil Javor berichtet von seinen Erfahrungen im Wildniscamp
Ich stehe auf. Die Sonne scheint wie ein grosses Feuer über mir. Es ist hell. Ich laufe zurück. Es muss schon spät sein – neun Uhr vielleicht. Ich steige einen steilen Abhang herauf, schon sehe ich das Haus und gehe mit grossem Hunger und neuer Kraft weiter. Ich komme an und atme aus – Geschafft! Die Nacht allein in der Wildnis ist vorbei.
Heutzutage wirkt der Alltag immer überfordernder: die dauernd auf uns einhämmernden Informationen und Terminpläne, der tägliche Stress. Der Wunsch nach einer Pause, nur um kurz verschnaufen zu können, und dann sogleich weiterzumachen. Wer hat da noch Zeit für sich selbst? Wer geht am Abend noch kurz in den Wald, setzt sich hin, bleibt sitzen und kommt zu sich selbst?
Genau diese Gelegenheit hat mir das Wildniscamp geboten: Gemeinsam in die Berge gehen. Im Wald mit Plane und Schnur einen eigenen Unterschlupf bauen. Einen Abend und eine Nacht unter freiem Himmel verbringen. Ganz allein! Das stand auf dem Flyer.
Nun geht es los: Meine Solozeit beginnt. Ich stehe auf und nehme alles mit: eine Flasche mit frischem Wasser, eine Taschenlampe, meinen Schlafsack und eine Rassel. Alle schweigen, ich gehe an meinen Platz im Wald und setze mich hin. Es wird langsam dunkel und die Abendsonne lässt den Himmel zu einem Spiel aus Schatten und Farben werden. Ich höre einen Vogel pfeifen und in einiger Entfernung rauscht ein Bach.
Mir wird langweilig, ich stehe auf und schaue mich um. Nach kurzer Zeit findet sich nichts Neues mehr und ich setze mich etwas ernüchtert zurück in mein bescheidenes Lager. Plötzlich sehe ich nichts mehr. Alles ist ruhig geworden. Nur das leise Zirpen einer Heuschrecke ist noch zu hören. Mir kommen Gedanken auf. Dann verschwinden sie wieder, einige bleiben da und lassen sich festhalten. Ich sehe die Sterne, einer schöner als der Nächste. Ich höre ein Rascheln im Laub, und schon springt ein junges Reh durch den blätterbedeckten Wald - ich erschrecke.
Auf einmal ist es stockdunkel und die Äste und Blätter bilden sonderbare Gestalten mit langen Armen. Ich höre jede Bewegung, jedes einzelne Blatt, welches sich vom Baum löst, um langsam Richtung Boden zu schweben, die einzelnen Mücken, welche um mein Ohr surren, und die Würmer, welche sich langsam in das morsche Holz neben mir fressen.
Jetzt ist es so weit: der dunkelste Moment der Nacht ist da – ich habe Angst. Und trotz allem gehe ich zum dunkelsten Punkt in der Nähe meines Nachtlagers, dort wo kein Lichtstrahl mehr hinkommt, und lege mich hin. Mein Herz schlägt schnell. Ich bleibe einige Sekunden liegen, stehe auf und lege mich zurück in meinen Schlafsack, wo ich innert wenigen Sekunden einschlafe. Meine Träume sind klar und von starken Bildern geprägt. Ich sehe ein grosses Feuer und mir wird warm. Im nächsten Augenblick bin ich wach und die Sonne scheint bereits durch das Grün der Blätter. Ich mache mich auf den Weg zurück zum Haus.
Jeder junge Erwachsene hat in dieser Nacht etwas Besonderes erlebt. Wohl jeder verspürte Angst und konnte zugleich ein Feuer in sich entdecken, einen weiteren Schritt in seinem Leben machen, Verantwortung übernehmen und vielleicht sogar ein Ziel finden. Auch ein Jahr nach meinem Besuch im Wildniscamp, darf ich täglich von diesen Erlebnissen profitieren. Und auch in diesem Sommer bin ich wieder dabei.
Ausgesuchtes Zitat von Emil Javor: „Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt.“ Ernst Fersti